Wir fragen uns, wer sich das alles leisten kann. Wir nicht!

Redebeitrag unserer Bürgerinitiative “Bürgerbahnhof Plagwitz erhalten” zum Stadtteilfest

Liebe Anwohner*innen, Freund*innen und Unterstützer*innen unserer Sache,

nachdem sich unsere Bürgerinitiative „Bürgerbahnhof Plagwitz erhalten“ Anfang des Jahres gegründet hat, wächst das Interesse in der Bevölkerung des Stadtbezirkes, für die städtebaulichen Entwicklungen auf dem Areal des Bürgerbahnhofes und darüber hinaus. Wir haben mit eurer Hilfe bereits erreicht, dass das Areal zwischen Rolf-Axen-Straße und Ladestraße West vom restlichen Bebauungsplan abgetrennt wird. Für das private Grundstück, welches von der LEWO AG gekauft wurde und mit Gewerbeeinheiten bebaut werden sollte, wird ab dem Jahr 2023 ein neuer Bebauungsplan im Rahmen einer Bürgerbeteiligung verhandelt. Ein Vorkaufsrecht der Stadt für das Grundstück steht in den Startlöchern. Das bedeutet, dass im Falle des Verkaufs des Grundstückes durch die Lewo AG, die Stadt ein Vorrecht hat, das Grundstück zu erwerben. Der BUND hat mit Erfolg eine Petition initiiert, durch die die Verwaltung der Stadt Leipzig, so ist es in einer Stellungnahme zu lesen, darauf aufmerksam wurde, dass ja irgendwie ein Interessenkonflikt zwischen den stadtstrategischen Zielen Klima und Wirtschaft besteht. 

Für die anstehende Bürgerbeteiligung benötigen wir weiterhin eure Hilfe und Unterstützung. Bürgerbeteiligung klingt zwar immer wie „offener Workshop für alle“ aber letztendlich handelt es sich vermutlich um einen vom Stadtplanungsamt kontrollierten runden Tisch, mit ausgewählten Teilnehmer*innen. Man darf befürchten, dass das Stadtplanungsamt letztlich bestimmt, wer alles mit an den Runden Tisch ran darf.

Fakt ist aber, dass sich die städtische Verwaltung, sowie der Investor, die LEWO AG, mit Realitäten auseinandersetzen müssen, die wir alle in den letzten Monaten geschaffen und sichtbar gemacht haben.

Ob es um baurechtliche Aspekte geht, um Fragen über Klima, Flora und Fauna, über soziokulturelle Verantwortung oder vor allem um die Bedürfnisse und Forderungen der Menschen, die hier leben.

Viele Vereine und Interessengruppen haben sich heute hier zusammen gefunden, um ein Zeichen dafür zu setzen, dass man nicht so einfach über unsere Köpfe hinweg eine antiquierte Investoren-Stadtplanung betreiben kann. Gemeinsam möchten wir hier heute mit euch über die übrig gebliebenen Freiräume sprechen und damit einen Dialog über unseren Stadtbezirk fordern. Wir sind hier, um uns auszutauschen, über aktuelle Geschehnisse und Pläne zu informieren, Probleme untereinander anzusprechen und weiter als Zivilgesellschaft im Quartier zusammenzuwachsen.

Unser Engagement für den Bürgerbahnhof Plagwitz muss aber auch im größeren Maßstab gedacht werden: Leipzig Südwest und insbesondere Plagwitz sind in den letzten Jahren enormen Veränderungen ausgesetzt gewesen. Viele Freiräume sind bereits verschwunden, andere sind im Begriff zu verschwinden. Wir reden hier von der Swiderski Fabrik auf der Zschocherschen Straße, der Fabrik der Kammgarnspinnerei Stöhr auf der Erich-Zeigner-Allee – der ein umfänglicher Wandel bevorsteht, den sogenannten „Plagwitzer Höfen“ gleich hier vorn, den bevorstehenden Umwälzungen auf der Klingenstraße auf Höhe der Antonienbrücke und nicht zuletzt vom Jahrtausendfeld an der Karl-Heine-Straße. Dies bringt unser Sozialgefüge im Stadtteil gehörig durcheinander. Die Plagwitzer Subkultur, einst das Aushängeschild von Bauboom und Bevölkerungswachstum im sogenannten „Hype um Leipzig“, wird nun aufgerieben und ersetzt durch vollmöblierte Eigentumswohnungen in Gated Communities, „urban living“, „smart city“ und anderen Investoren-Codes. Frei übersetzt:

Flächendeckende Monetarisierung unseres Stadtquartiers, hin zum rundum glücklich Konsum-Disney-Land. Dazu sagen wir NEIN!

Es drohen uns weitere Umwälzungen im Kiez. Für die Anwohner*innen, Vereine und viele andere Gruppen gibt es immer weniger geeigneten Freiraum und Verdrängungs-mechanismen werden stärker. In Plagwitz erleben wir seit einigen Jahren eine Turbo-Gentrifizierung. Wir können kein ausgewogenes Maß mehr erkennen, zwischen durchaus notwendiger Stadtentwicklung (die es ja nun auch gibt) und Schaffung öffentlicher Ausgleichsflächen. Wir sind müde zu sehen, wie die Stadtentwicklung immer öfter an der Bewohnerschaft vorbei plant. Wir fragen uns, wie sich immer mehr Bewohner*innen im Umfeld des Bürgerbahnhofs, auf den kleiner werdenden Freiräumen, lebenswert und zeitgemäß entwickeln sollen. Wir fragen uns, wie ein immer dichter werdender Stadtteil in Zukunft bei immer heißeren Temperaturen und einem trockeneren Klima abgekühlt werden soll. Wir fragen uns, wer sich das alles leisten kann. Wir nicht!

Was wir aber leisten können, sehen wir hier direkt vor uns. Der Hildegarten, der Bauspielplatz, das Heiter bis Wolkig, die vielen kleinen Gruppen aus dem Kiez, die vielen Hausprojekte, Vereine und Genossenschaften. Zivilgesellschaftliches miteinander. Zusammen anpacken, ohne große Gewinne erwirtschaften zu wollen oder zu müssen. Das ist es, wovon unser Stadtteil lebt.

Mit eurer kapitalorientieterten Stadtplanung wird das alles zerstört und Biedermeierei und tote Straßen kehren in die Neubauviertel ein.

Mit unserer Arbeit wollen wir diesen Entwicklungen etwas entgegensetzen. Bringt euch selbst mit ein, erzählt uns an unserem Infostand, wie ihr euch das Viertel wünscht, welche Meinung ihr vertretet und vor allem: erzählt weiter, was hier passiert. Schaffen wir Öffentlichkeit und eine wahrhafte Beteiligung an den stadtpolitischen Prozessen,  die uns alle betreffen. Denn wir leben hier! Der Bürgerbahnhof Plagwitz soll seinem Namen gerecht bleiben! 

karlhelga – ein grünes Dorf in der Stadt

Redebeitrag zum Stadtteilfest

Der karlhelga-Wagenplatz bietet als soziokultureller Veranstaltungs- und Lebensort über 40-Bewohner*innen, Familien mit Kindern, PoC-Personen, queeren Menschen, zahlreichen Gästen einen Ort zum Verweilen und ein Zuhause. Für unser Zusammenleben sind uns ein solidarisches und hierarchiekritisches Miteinander wichtig. Seit über 14 Jahren sind wir als ehrenamtlich selbstverwalteter Begegnungsort, Freiraum und subkultureller Veranstaltungsort im Leipziger Viertel Plagwitz verwurzelt. Wir sind ein Teil bestehender, gut vernetzter und vielfältiger Nachbarschaftsstrukturen. Als öffentlicher Veranstaltungsort ermöglichen wir mit diversen Veranstaltungen auf Spendenbasis von Essen für Alle (EfA), Konzerten, Theater, Varieté, Bandproben oder Vernetzungstreffen uvm., einen diskriminierungs- und rassismusfreien Raum. 

Durch das Wohnen in Wagen ohne Betonfundamente erhalten wir nicht nur die Grünfläche unversiegelt, sondern renaturieren sie aktiv. Pflanzen und Tiere, darunter auch geschützte Arten, finden bei uns in angelegten Teichen, Totholzhaufen, Blumen, Büschen und Bäumen einen Lebensraum. Biodiversität und Ökologie sind gerade angesichts zunehmender Rekordhitzezeiten, Trockenheit und extremer Wetterlagen, wie Starkregen, auch für eine nachhaltige Stadtplanung relevanter denn je. Dank unserer Wohnform kann die Fläche weiterhin ihre natürliche Funktion erfüllen mit Verdunstung, Versickerung und als Frischluftkanal positiv zum Stadtklima beitragen. Insbesondere im ansonsten stark versiegelten Hitzehotspot Plagwitz. 

Die Wagenkultur ist geprägt von Minimalismus und Selbstermächtigung, DIY statt Konsum, mehr selber machen, bauen, Up- und Recycling, statt neu kaufen. Gleichzeitig unterstützt unser Gemeinschaftsleben uns darin, Dinge auszuprobieren, mit weniger Angst vor dem Scheitern, der Möglichkeit Wissen und Werkzeug zu teilen und voneinander zu lernen. Dadurch können viele Bereiche selbstbestimmter, ressourcenschonender und damit aus unserer Sicht zukunftsfähiger gelebt werden. Einige von uns versorgen sich autark mit Solar- und Windenergie, andere bauen Lastenräder, sind für Nachbar*innen da oder bringen sich in regionale, ökologisch-nachhaltige Ernährungsstrukturen, wie SoLaWis, ein. Ein weiteres anschauliches Beispiel, wie ressourcenschonendes Wagenleben sein kann, ist der Wasserverbrauch. Laut dem Amt für Statistik in Leipzig ist der durchschnittliche pro Kopf Verbrauch in Leipzig pro Tag 120 Liter. Mit 120 Litern Trinkwasser kommt bei uns eine vierköpfige Familie ca. eine Woche aus. 

Seit 2018 der Klimanotstand in Leipzig ausgerufen wurde, sollen Grünflächen geschützt und erhalten werden. Dennoch ist in Leipzig der Boden immer noch ein beliebtes Spekulationsobjekt. Unsere Nachbarschaft am noch grünen Bürgerbahnhof Plagwitz fühlt sich bedroht vom  Bauboom, Roden und damit einhergehender Verteuerung und Verdrängung! 

Überall wird nachhaltige Stadtentwicklung gefordert. Der Erhalt von Frei- und Grünfläche statt Neubau auf Kosten der hier lebenden Bevölkerung. Dennoch konnte der Bauinvestor Christoph Gröner Anfang der Coronapandemie mit einer Untergruppe der CG-Group die von uns seit über 14 Jahren gepachtete Fläche kaufen. Dabei wurden unser Kaufinteresse als gemeinnütziger Verein sowie das städtische Vorkaufsrecht übergangen.

Kann Politik angesichts drängender gesellschaftlicher Themen wie sozialer Ungleichheit, zu der die Energiekrise noch ihren Teil beitragen wird, den Folgen des Klimawandels, Spekulation mit Boden etwas entgegensetzen?

Wie können wir alle Alternativen schaffen zu einer Wirtschaftsweise, die Profit nicht nach nachhaltigen, ökologischen, oder sozialen Kriterien macht, sondern auf Kosten der hier lebenden Bevölkerung nach bezahlbarem Wohnraum, der Umwelt und damit unser aller Lebensqualität, Vielfalt und Zukunft.

Wir sind seither im Dialog und suchen mit Stadtpolitik, dem Eigentümer und breiter solidarischer Unterstützung aus der Nachbarschaft nach einer gemeinsamen Lösung, nicht vertrieben zu werden, unser Zuhause, unsere Lebensgrundlage und einen wichtigen sozialen und ökologischen Freiraum im Viertel zu erhalten. Leipzigs Bürgermeister für Ordnung, Sicherheit und Grünflächen, Herr Rosenthal, wies im Vorwort des Klimaquizhefts von den Omas for future darauf hin, dass unser Handeln jetzt die Zukunft unseres Planeten entscheidet. Bislang sind wir gespannt, welche Taten den stadtpolitischen Worten folgen.

Wenn Kastanienbäume der Rendite im Weg stehen

Redebeitrag einer Hausgemeinschaft aus der Klingenstraße zum Stadtteilfest

Hier in Plagwitz verändert sich ja momentan eine Menge. Auf quasi jeder freien Fläche wird gebaut und am Ende steht irgendwo ein neuer großer Klotz mit teuren Wohnungen, Büros oder Lagerhallen.

Ich wohn’ hier im Viertel in der Klingenstraße und gehöre zu einer Hausgemein-schaft, die sich seit Anfang des Jahres dagegen einsetzt, dass in unserem Garten ein Zweifamilienhaus mit Eigentumswohnungen gebaut werden soll. Es handelt sich bei diesem Bauvorhaben also nicht um den Bau von Sozialwohnungen, um das Angebot Wohnraum zu steigern und die Mieten zu stabilisieren, sondern lediglich um ein Prestige-Projekt für börsenorientierte Unternehmen. Daher sind wir entschieden dagegen. Und auch aus umweltbezogenen Gründen passt uns dieses Bauvorhaben gar nicht: Dafür würde bei uns ein riesiger Kastanienbaum gefällt werden und unsere Wiese würde gegen versiegelten Boden eingetauscht werden. Außerdem würde uns damit ein Raum zum Austausch als Hausgemeinschaft, für gemeinsame Treffen und ein Platz zum Spielen für die Kinder aus dem Haus und aus der Nachbarschaft genommen werden. Wir wollten das nicht hinnehmen und haben uns nach einigen ernüchternden Antworten vom Amt für Umweltschutz und dem Stadtplanungsamt an Politikerinnen aus dem Stadtrat gewendet. Daraufhin wurde ein Antrag in den Stadtrat eingebracht, um eine Veränderungssperre für alle Hinterhöfe im Bereich der Zollschuppenstraße und der angrenzenden Hinterhöfe der Klingenstraße zu erwirken, so dass auch unser Garten unbebaut und unversiegelt bleiben könnte. Diesem Antrag wurde mit einer kleinen Mehrheit von Linken, Grünen und ein paar Politikerinnen der SPD in der letzten Stadtratssitzung zugestimmt, was für uns natürlich einen kleinen Sieg in unserer Sache darstellt. Da aber die Aufstellung eines neuen Bebauungsplans noch länger braucht, ist bislang immer noch ungewiss, ob das Bauvorhaben in unserem Garten dadurch tatsächlich noch gestoppt werden kann. Aber immerhin ist das Thema nun wieder präsenter im Stadtrat.

Das zeigt: Es geht nicht nur um unseren Garten, sondern um die gesamte Stadtbau-politik für unser Viertel und darüber hinaus: Ich möchte nicht, dass die Menschen mit viel Kapital und viel Immobilienbesitz entscheiden, wie sich unser Kiez entwickelt, sondern, dass wir alle unser Mitspracherecht nutzen und einfordern! WIR leben hier, WIR nutzen die Flächen vom Bürgibahnhof, WIR gehen auf Konzerte vom Wagen-platz, WIR müssen die Mieten bezahlen und WIR wollen uns hier auch an heißen Sommertagen noch wohlfühlen. Machmal erscheint ein Kampf dagegen ziemlich aussichtlos und die Lage ziemlich frustrierend. Aber unser Beispiel zeigt:

Es lohnt sich, sich gegen die Veränderungen in unserem Kiez in Form von immer mehr Versiegelung, Verdichtung durch unbezahlbaren Neubau und Verdrängung einzusetzen. Es braucht dafür aber manchmal einen langen Atem.

Wenn es euch also genau wie auch mir nicht passt, was hier in unserem Viertel passiert, wenn eure Mieten zu hoch werden oder eure Vermieterinnen Ärger machen: tauscht euch als Hausgemeinschaft aus, tut euch zusammen und lasst euch mit Expertise beraten. Wenn euch im Sommer zu heiß ist zwischen all den betonierten Flächen und den risiegen Häusern, die die Frischluftzufuhr ausbremsen: dann schreibt euren Abgeordneten und unterschreibt Petitionen. Und wenn ihr weiterhin hier spazieren wollt, ohne durch ein Industriegebiet zu laufen, dann informiert euch hier und heute am Infostand der Initiative vom Bürgibahnhof, wie ihr euch einbringen könnt. Wenn ihr euch einsetzen wollt, um die Bewohnerinnen des Wagenplatzes Karl Helga zu unterstützen, um deren Wohnraum zu erhalten und ihr auch weiterhin dort auf Konzerte, Filmvorstellungen und zur Küfa gehen wollt, dann tragt euch gleich bei deren Infostand mit eurer Mailadresse ein. Unterstützt solidarisch die Projekte, die euch am Herzen liegen.

Es ist unser Kiez und den können wir nur gemeinsam gestalten und erhalten. Lasst uns deshalb zusammen einsetzen für ein Viertel, in dem wir ALLE bleiben können und in dem wir ALLE uns wohlfühlen können.